Die Reise endet 5 Meter unter dem Meeresspiegel

Den Hafen von Grimsby musste ich um 5:00 Uhr früh verlassen, also aufstehen um 4 Uhr! Alles ist finster und kalt. Nach dem Frühstück um 4:40 Uhr hab ich dann nochmal den Schleusenwart angerufen, dass ich in 20 Minuten komme und erfahren, dass er das Tor jetzt schließen wolle aber noch warten würde, wenn ich gleich käme. Also schnell alles ins Spülbecken schmeißen, Ölzeug anziehen und ablegen. Um 4:50 war ich durch und auf dem River Humber, der schon jetzt ziemlichen Verkehr aufweist. Etwas abseits der Hauptroute hab ich mich dann von einem Navigationslicht zum nächsten gehangelt bis nach einer Stunde langsam die Sonne aufstieg.

Zunächst hat die Strömung mich ganz schön angeschoben und langsam hat auch der Wind aufgefrischt. Schließlich hat er mich mit 16-18 kn nach Süden geblasen. Es war etwas zu schnell, denn als ich vor Wells-next-the-Sea ankam konnte ich noch nicht reinfahren, denn das Wasser war noch nicht hoch genug gestiegen. Ich wartete also eine Stunde, dann ging´s mit Motor durch die lange betonnte Einfahrt im Zick-Zack zum Hafen. Am nächsten Tag bei Ebbe konnte man sehen, dass von der ganzen Wasserfläche nur noch ein winziges Rinnsal übrig war, das sich durch die Sandbänke ins Meer schlängelte.

Wells ist ein ganz lebendiges Städtchen und Ziel vieler (englischer) Urlauber. Gleich neben meinem Schiff gehen die Familien ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung nach, dem Crabbing. In allen Läden der Stadt gibt es dir notwendige Ausrüstung dazu: ein Eimer, ein kleines Netz mit Köder und eine lange Schnur. Stundenlang können Erwachsene und Kinder hier mit dem Netz und Köder nach kleinen Krabben fischen, die dann in dem Eimer gesammelt werden, gezählt und bewundert und schließlich wieder ins Wasser zurückbefördert werden. An der Kaimauer ist extra eine Pumpe für Meerwasser, damit man nicht 50 m gehen muss um den Eimer zu füllen und der Ökostand verleiht Eimer, damit der Plastikabfall in Grenzen gehalten wird.

Das zweite Nationalhobby ist Fish and Chips. Das können Engländer auch von morgens bis abends essen und entsprechend ist jeder 2. Laden eine Fish and Chips Bude. Trotzdem muss man anstehen um sowas zu kriegen. Manchmal schmeckt es auch tatsächlich ganz lecker. Meist ist es aber nur fettige Panade mit lapprigen Pommes.

Am Donnerstag hab ich mit dem Fahrrad einen Ausflug zum Sandstrand mit den bunten Strandhäuschen gemacht. Die kleinen Bretterbuden sind sehr beliebt (irgendwo muss man sich ja mal aufwärmen bei 14 Grad Wassertemperatur!). Falls sich jemand sowas leisten möchte: die Häuschen kosten bis zu 55.000 Pfund (60 T€)!

Die Radtour ging weiter nach Holkham Park, einem großen Landhaus mit einem riesigen Parkgelände außen rum und vielen Freizeitangeboten insbesondere für Familien – Traktorfahrt, Bootsfahrt auf dem Teich, Basteln Radfahren usw. Auf dem Rasen hat eine Altherrentruppe Kricket gespielt, d.h. meist sind sie nur rumgestanden. In den alten Häusern (ehemalige Bediensteten Wohnungen) am Rande des Parks kann man auch Zimmer bekommen.

Am Freitag fuhr ich mit meinem Fahrrad in die andere Richtung auf dem Deich durch das Marschenland. Überall saftige und süße Brombeeren – da kommt man nur langsam voran. Durch ein paar Orte im Hinterland ging´s wieder zurück. Hier ist wirklich absolut nichts los und kein Mensch auf der Straße.

Für den Samstag hatte ich einige gute Wettervorhersagen bevor es ab Sonntag wieder aus der falschen Richtung kachelt. Also fuhr ich um 7:00 Uhr früh durch den Bojenslalom wieder aufs Meer hinaus, wo mich eine ziemlich ruppige Welle erwartete. Der Wind kommt von hinten, die Wellen schräg von hinten und es schaukelt ganz grausam. Trotzdem kann ich nur mit der gerefften Genua 6 kn machen. Das Großsegel kann ich nicht setzen, denn der Baum würde alle 5 Minuten auf die andere Seite schlagen bei dem Geschaukel. Um 17:00 Uhr ist der Wind dann eingeschlafen und die letzten 2 Stunden hab ich den Motor gebraucht. Mitten in dem Geschaukel ist auch noch unser 3. Enkel Paul in Berlin auf die Welt gekommen. Ein schöner Tag!

Am Sonntag ist das Barometer in den Keller gefallen und Regenschauer sind mit 36 kn (8 bfts) durch den Hafen geblasen worden. Zeit zur Planung der letzten Touren und Winterlagersuche und Wäsche waschen. Der Yachtclub von Lowestoft ist sehr alt und ehrwürdig, die Stadt ziemlich langweilig aber vor dem Yachtclub ist ein Kilometer langer Sandstrand und eine schön angelegte Promenade.

Leider war das Wetter nicht so nach Promenieren und zum Baden war es selbst den abgehärteten Engländern zu ungemütlich. So hab ich mich in der Bar mit einigen Engländern unterhalten. Es waren übrigens alle gegen den Brexit. Einer sagte, dass inzwischen mehr alte Leute gestorben sind (der Brexit ist vor Allem von alten Leuten gewählt worden) als für den Brexit Stimmen erforderlich waren. Das heißt, dass nun von den noch lebenden Engländern die Mehrheit dagegen gestimmt hatte. Ich habe auf meiner ganzen Tour durch Schottland und England jedenfalls keinen getroffen der für den Brexit war. Die Schotten haben sogar ganz vehement für eine Abtrennung von England geworben.

Nach einem weiteren ungemütlichen Tag (Regen und böige Winde) hab ich mich entschlossen gleich nach Holland zu segeln. Die Tour nach London ist lang und teuer (der Hafen soll 90 € kosten). Die Überfahrt von dort nach Belgien ist zwar kürzer, aber geht durch den intensiven Frachtverkehr vor dem Kanal mit zahlreichen Einschränkungen für Segler, sodass der direkte Weg zwar länger aber durchaus angenehmer zu segeln ist. Nun mit segeln war bis auf 2 Stunden nichts, weil der Wind ganz wegblieb, dafür konnte ich die 110 Meilen in 17 Stunden ohne Umwege durchfahren. Um 1:30 Uhr hat  mir die Hafenkontrolle die Ausfahrt frei gegeben, dann ging es mit wenig Querverkehr schnurgerade Westwärts auf die andere Seite nach Ijmuiden in Holland. Eine komfortable Marina an der Mündung des Flusses Ij hat mich für 3 Tage aufgenommen. Meine Ankunft auf dem Festland hab ich erst einmal mit einem leckeren Lachsfilet gefeiert.

Am Freitag bin ich durch die Seeschleuse und die Drehbrücke in den Kanal nach Amsterdam eingefahren. Die weiteren Straßenquerungen gehen unter dem Fluss durch und man sieht auf beiden Seiten die großen Lüftungsbauwerke, die die Einfahrten markieren.

Nachdem ich die ausgedehnten Industriegebiete durchfahren hatte haben die beiden Holländerkinder den Beginn von Amsterdam angezeigt. Der Verkehr auf dem Wasser ist nun ziemlich heftig: 3 Fähren kreuzen im 5 Minutentakt das Fahrwasser, dazu kommen etliche Ausflugsboot, Sightseeing Touren, Lastkähne, Flusskreuzfahrtschiffe usw. Zum Hafen muss ich da mittendurch!

Kurz vor meinem Hafen kam ich dann am neuen Wahrzeichen von Amsterdam vorbei, dem A`dam Lookout mit der höchsten Schaukel Europas in 100 m Höhe. Ich bin allerdings nicht geschaukelt (Auffahrt 16 €, Schaukeln 5€).

Ich konnte Gerlinde überreden mich in Holland abzuholen und sie ist am Samstag den langen Weg nach Lelystad gefahren und das letzte Stück mit dem Zug nach Amsterdam gekommen. Dort geht vom Bahnhof aus eine kostenlose Fähre auf die andere Flussseite direkt zu meinem Hafen. Am Bahnhof gibt es übrigens keine Parkplätze für PKW, nur für Fahrräder. Das ist der kleinste von 5 Fahrradstellplätzen mit 400 Fahrradständern!

In den nächsten Tagen haben wir uns Amsterdam angeschaut, mit Rundfahrt durch die Grachten und einem halben Tag im Rejksmuseum wo Rembrandts berühmte Nachtwache hängt, aber auch viele andere interessante Kunstwerke.

Am Dienstag hatten wir dann genug von dem Großstadttrubel und sind durch die nächste Schleuse ins Markermeer gefahren. Dort war eine ganz seltsame diesige Stimmung über dem Wasser und zu Gerlindes Beruhigung kein Wind.

Wir haben in Volendam angelegt, dass sich gerade auf das Herbstvolksfest vorbereitet. Die Restaurants werden mit überdachten Terrassen erweitert und in jeder Ecke werden Fahrgeschäfte aufgebaut. Trotzdem ein netter Touristenort, in den offensichtlich viele Chinesische Gruppen gelotst werden, denn es gibt ein Käsemuseum und eine Waffelfabrik, die man besichtigen kann.

Es sind auch einige historische Ijsselmeer Boote hier stationiert, die mit verschiedenen Gruppen Rundfahrten oder Ausflüge machen. Dabei schrecken die Holländer nicht davor zurück die Schiffe in der Mitte auseinander zu sägen und ein 4 Meter langes Stück einzusetzen, damit mehr Gäste transportiert werden können.

Am Mittwoch hat es dann richtig geregnet. Wir sind aber trotzdem 5 km nach Edam gelaufen – im Regen ist das viel länger als man glaubt – und haben auf dem Käsemarkt einen Käse gekauft. Außer der offenen Käsehalle waren nur 2 Stände da und niemand der was kaufen wollte. Ziemlich trübe Angelegenheit im Regen. Selbst ein Reiher am Kanal hat recht begossen ausgesehen.

Am Donnerstag sind wir dann 3 Stunden mit dem Motor über das Markermeer, eine Abtrennung vom großen Ijsselmeer, nach Lelystad gefahren. Dort in die Schleuse zu einem der kleinen Seitenkanäle, wo es zu unserer Überraschung etwa 6 Meter in die Tiefe ging. Wir habe auch kurz dahinter unseren Steg für das Winterlager gefunden und festgemacht. Die nächsten 2 Tage vergingen mit Segel waschen, trocknen und bergen. Die Genua haben wir zur Reparatur weggegeben, denn sie hatte an der oberen Saling einen Riss, den ich unterwegs nur notdürftig geklebt hatte. Das Dinghi wurde gewaschen getrocknet und verstaut, alles geputzt und schließlich alles Bewegliche ins Auto gepackt, um zuhause gewaschen und sortiert zu werden. Am Sonntag, den 09.09.18 war dann die Segelsaison beendet und wir sind heimgefahren. Die Bird of Tuvalu liegt nun am Steg eines kleinen Yachtvereins und ich hoffe, dass sie gut durch den Winter und das Eis (wenn es eins gibt) kommt. Der Steg liegt, wie das ganze umliegende Land, etwa 5 Meter unter dem Meeresspiegel. Holland wäre nicht einmal halb so groß, wenn sie nicht in den letzten hundert Jahren mit Deichen und einem ausgeklügelten Entwässerungssystem dem Meer so viel Land abgerungen hätten. Wir liegen hier mitten im neuen Land.

Es war eine Reise mit vielen Rückschlägen: Zuerst hatte die Werft schwere Fehler bei der Wartung des Motors gemacht, dann hat mir ein Seil die Antriebswelle aus der Kupplung gerissen, dann hat mich der Ausbilder der britischen Marine mit seinem Boot gerammt (der Schaden in Höhe von fast 6.000 € wurde vor zwei Tagen endlich bezahlt!), dann hatte Hubert die Blinddarmoperation auf den Färöer Inseln was schließlich meine Reise nach Island mit dem Schiff endgültig sabotiert hatte. 7 Monate intensiver Vorbereitung einschließlich dem Kauf von teuren Sicherheitseinrichtungen waren umsonst investiert. Und doch war es wieder eine Reise mit vielen interessanten Begegnungen und Erlebnissen an die ich noch gerne denke, wie die Musiksessions in Irland, die Whiskyproben in Schottland, die Fahrten mit dem alten Lastkahn auf den Färöer, das Fringefestival in Edinburgh, der kleine Ausflug mit Verena und Dave und immer wieder der Einblick in eine Geschichte der Seefahrt, Fischerei und Piraterie, wie ich sie noch nie erfahren hatte.

Nächstes Jahr zieht es mich wieder Richtung Schweden, vielleicht meine letzte Reise mit der Bird of Tuvalu.